Hunger

Ich dachte, so weit wird er nicht kommen. Nicht bis hierher, in die Aue und die Äcker auf dieser Seite des Dorfes. So weit traut er sich nicht, so weit ist er noch nie vorgedrungen. Vor einigen Jahren, ich weiß nicht wie viele Jahre, es mögen drei oder fünf sein, oder noch mehr, hat er sich bis zum Rand unserer Siedlung gestohlen. Das erzählen die Alten. Sie warnen schon lange, dass er sich in diesem Jahr noch weiter vorwagt. Ich kann mich nicht an seine Dreistigkeit damals erinnern. Aber ich erinnere mich an den Geruch.

Es roch nicht wie zur Jahresneige, wenn die Nebel über den Boden kriechen und die Blätter und Kohlreste in den Senken verrotten und die Feuer kleine Rauchsäulen in den wolkenschweren Himmel schicken. Es roch schlammgrau. Es gibt so viele Arten von Grau. Das Wolfsgrau des endlosen Himmels, die fischgrauen Wolkenschlangen, ihre steingrauen, regengefüllten Bäuche, die fast schwarzen Schattenspiele auf den Tümpeln.

Damals stellten die Mütterchen und die jungen Frauen, deren Äcker zur Uferseite lagen und deren Feldfrüchte der Fluss verschlungen hatte, ihre Körbe in die Dorfmitte. Wenn das Licht wich, füllten andere Mütter die Körbe mit Rüben, Kohl, Brot und Getreide, und manchmal einem Ei. Wir Kinder durften nicht in die Nähe der Körbe. Wenn wir es doch taten, schimpften die schrumpeligen Alten und hießen uns Diebespack. Wir schauten nur und nahmen nichts. Gebeugte Mütterchen und Frauen holten die gefüllten Körbe und verschwanden in der Dunkelheit. Viele Tage lang stellten sie die leeren Körbe auf. Im Winter überzog die Kälte das Brot mit einem zarten, glitzernden Flaum. Erst wenn die Sonne wieder wärmte, verschwanden die letzten Körbe …